: Die Ölmänner entdecken das Spiel
ZSKA Moskau gewinnt mit einem 3:1 über Sporting Lissabon den Uefa-Pokal. Für den russischen Fußball könnte dieser Erfolg erst den Anfang darstellen. Dank der Millionen der „Noveau Riche“ boomt die Liga in Russland wie sonst kaum irgendwo
AUS LISSABON RONALD RENG
Ein Pferd kam geflogen und fiel Daniel Carvalho vor die Füße. Er nahm es mit zur Siegerehrung. Wenn das Glück sie überwältigt, wissen Fußballer oft nicht mehr, was sie tun. Der brasilianische Spielmacher des ZSKA Moskau wurde zum kleinen Mädchen, so sehr klammerte er sich an das Stofftier, das Fans auf das Spielfeld geschleudert hatten. Auch wenn die Zeiten lange her sind, als die Kavallerie der Stolz des Militärs war, so ist das Pferd das Symbol des Zentralen Sportklubs der Armee geblieben.
Carvalho war schon auf dem Weg in die Umkleidekabine, als er aufwachte und merkte, was er da mit sich herumtrug. Kurzerhand zwang er einen Mitspieler zum Tausch. Der Kollege schaute entgeistert auf das Pferd. Doch Carvalho trug schon den Pokal davon, den er dafür eingetauscht hatte. So begann die Reise des Uefa-Pokals nach Osten, so weit nach Osten wie nie zuvor.
Zum ersten Mal gewann ein russisches Team am Mittwoch einen Europapokal. Dass der ZSKA den 3:1-Sieg im Endspiel über Sporting Lissabon in dessen eigenem Stadion José Alvalade erstritt, gab dem Erfolg die Note eines Coups. Für die Trendforscher war der erstmalige russische Triumph allerdings nichts wirklich Neues: Im Uefa-Cup haben die vermeintlich Großen schon länger immer weniger zu sagen; ZSKA ist der vierte Cup-Gewinner in sechs Jahren aus einem Fußballrandgebiet.
Wobei es zu erwähnen gilt, das es derzeit kein spannenderes Projekt im Vereinsfußball gibt als die russische Liga. Während im alten Europa der Markt stagniert, wächst der russische Fußball ungehemmt. 14 Jahre nach Zusammenbruch der Sowjetunion haben die neuen Kapitalisten des Landes das Spiel entdeckt; wer was auf sich hält im Öl- und Gasgeschäft, hält sich ein Fußballteam. Der ZSKA bekommt von Sibneft pro Jahr 18 Millionen Dollar. Es ist das Energieunternehmen von Roman Abramowitsch, dem Besitzer des englischen Meisters Chelsea. In bester Tradition der Noveau Riche wollen die Mäzene ihr Geld zeigen. Sie wollen große Stars.
In den Zeitungen des alten Fußballeuropas war es nur eine kleine Notiz, doch darin versteckte sich eine Sensation: Dynamo Moskau, vom Ölkonzern Yukos unterstützt, hat nun Maniche und Costinha vom FC Porto verpflichtet. Maniche und Costinha waren vorige Saison Schlüsselspieler bei Portos Sieg in der Champions League sowie in Portugals Nationalelf, die das EM-Finale erreichte. Vergangenen Sommer interessierten sich noch ganz große westliche Klubs wie Real Madrid vergeblich für ihre Freigabe. Dynamo zahlt 20 Millionen Euro Ablöse.
In den Katakomben des Alvalade-Stadions stand ein netter junger Mann, beide Augen grün und blau, als ob ihn jemand zusammengeschlagen hätte, und staunte auch: „Maniche, Costinha. Die Stars in Russland werden immer größer – und ich dachte vor zwei Jahren, ich sei der größte.“ Ivica Olic lachte, es sah kurios aus, das freundliche Lachen unter den blutunterlaufenen Augen. Der Ellenbogen eines Gegner brach ZSKAs kroatischem Nationalstürmer vor ein paar Tagen das Nasenbein, im Finale gespielt hat er dennoch. Olic ist 25. Vor zwei Jahren zahlte ZSKA fünf Millionen Euro Ablöse für ihn. Der Boom begann.
63 Ausländer spielten 2002 in der russischen Liga, letzte Saison waren es 235, darunter solche Qualitätsspieler wie ZSKAs Brasilianer Carvalho. Er gab alle Vorlagen zu Moskaus Toren in Lissabon, wo sie mit pragmatischem Konterfußball ein nicht mehr als ordentliches Finale entschieden. Noch ist das Niveau in Russland „nicht so hoch wie etwa in der Bundesliga“, sagt Olic. Noch haben manche ausländischen Stars Probleme mit den lokalen Gepflogenheiten. „Um zehn Uhr morgens an der U-Bahn siehst du junge Mädchen mit der Bierflasche in der Hand. Und das gilt als normal!“, sagt Hector Bracamonte, der argentinischer Stürmer des FC Moskau. Noch steht der Boom auf künstlichen Beinen, weil die russischen Klubs am Tropf der Sponsoren hängen, eigene Einnahmen haben sie kaum. Doch solange die neureichen Ölmänner Spaß an ihrem Spielzeug haben, gibt es nichts, was unmöglich scheint. Lissabon war der Beweis.